top of page

Ansichtssache

Curated by Eveline Weber

Michael Budny, Jana Gunstheimer, Tobias Heine, Martina Klein, Joseph Marioni, Anne Römpp, Michael Venezia, Thomas Wachholz, Jan Wawrzyniak, Katharina Anna Wieser

14-10-2018 - 13-01-2019

Kunstraum Alexander Bürkle Freiburg

Raum4.jpg
KAB Ansichtssache 2018_18.jpg
KAB Ansichtssache 2018_22.jpg

Eveline Weber: Jan Wawrzyniak

Jan Wawrzyniak untersucht in seinem Werk wie und wo sich Bilder konstituieren - und stellt somit die Frage nach den Möglichkeiten der Entgrenzung des Bildes. Seine Arbeiten entstehen fast ausschließlich durch den Auftrag von Kohlestift und sind vom Künstler als „Zeichnungen“ betitelt. Dementsprechend erstreckt sich seine Farbpalette auf Schwarz, Weiß, Grautöne sowie die Eigenfarbigkeit der Trägermaterialien. Dieses trockene und materiell charakteristische Malmittel bringt er entweder in Form von Linien oder Flächen auf Leinwand, Papier oder auch direkt auf die Wand oder den Boden der Ausstellungsarchitektur auf.

Die beiden monumentalen Arbeiten „Ohne Titel (13020)“ und „Ohne Titel (13023)“ aus dem Jahr 2013 stehen beispielhaft für die Untersuchung der einleitenden Fragestellungen. „Ohne Titel (13023)“ besteht aus drei unterschiedlich geformten shaped canvases, die als Triptychon zusammengehörig präsentiert sind. Darauf sind in Kohle auf weiß grundiertem Baumwollgewebe Flächen entweder tief schwarz gefärbt, in einem lichten Ton vergraut oder weiß belassen. Die so unterschiedenen Formen verursachen beim Betrachter zunächst eine gewisse Unsicherheit darüber, was genau hier eigentlich dargestellt ist. Sie fügen sich in ihrer geometrischen Unregelmäßigkeit nicht zu einem erkennbaren Motiv oder einer fassbaren abstrakten Form zusammen, sondern vielmehr zu einem abstrakten Raum. So lässt sich die große schwarze Fläche rechts im Bild, die sich uns scheinbar wie eine Wand entgegen neigt, räumlich wahrnehmen. Sie wird aber in dieser Rolle durch kein anderes Element bestätigt oder ergänzt. Nie verlaufen etwa Ränder der Leinwände parallel zueinander oder die Diagonalen im Bild einem gemeinsamen Fluchtpunkt entgegen. Denn jene Farbflächen deuten wie die Asymmetrie der Leinwände eigene Neigungen und Perspektiven an, sodass ein stetiger Wechsel zwischen verschiedenen Raumvorstellungen erfahrbar wird. Vor dem überlebensgroßen Bild scheint sich der Betrachter plötzlich – ohne sich dem entziehen zu können – wahrhaftig mitten in diesem inkonsistenten Bildraum zu befinden - und sich gleichzeitig darin zu verlieren. Welche Vektoren seinen Blick leiten, welcher Flucht er folgt, um kurz darauf wieder zurückweichen zu müssen, sich zu drehen und auf den Kopf zustellen – was er wahrnimmt – bleibt immer ein Konjunktiv – eine Möglichkeitsform. Eine für unsere Sehgewohnheiten räumliche Logik bleibt verwehrt. Wawrzyniaks Umgang mit Perspektivität ist ein ganz eigener, der weder den Regeln der Isometrie noch der Parallelperspektive folgt.

 

Die Arbeit „Lynched Line (13007)“ ist der Gruppe der „Lost Drawings“ zuzuordnen. Hierbei recycelt Wawrzyniak Leinwandfragmente von zuvor verworfenen Bildern. Die Arbeit beschreibt eine einzelne schwarze Kohlestift-Linie auf einem dünnen Streifen weiß grundierten Baumwollgewebes. Sie ist direkt auf die Wand und den Boden des Ausstellungsraums montiert. Der Verlauf der Linie beginnt bündig am Boden, erstreckt sich empor über die Wand, um am höchsten Punkt kehrt zu machen, über den Fußboden in den Raum hinein zu ragen und wieder die Wand hinauf. Dort ist der Streifen lose befestigt, sodass der letzte Teil in sich gedreht frei hängt und die unbemalte, baumwollfarbene Rückseite des Streifens sichtbar ist. Wawrzyniak bedient sich einer einzelnen Linie, dem grundlegenden Motiv der zeitgenössischen Zeichnung überhaupt. In dem konkreten Falle dient sie jedoch dem Vorführen des Werdens von Bild und Bildlichkeit. Vermutet man dessen Präsentation noch immer an der Ausstellungswand – bei den oben beschriebenen Arbeiten trifft dies auch noch zu – ragt dieses Bild jedoch in die Dreidimensionalität, unmittelbar in den Raum des Betrachters hinein. So wird sein Umraum Teil des Bildraums selbst. Neben der Möglichkeit den Raum und das Werden eines Bildes darin wahrzunehmen, weist diese Arbeit zudem auf den Aspekt des Zeitlichen hin: Einerseits sind frühere Werkentstehungsprozesse in ihr materialisiert. Andererseits spielt sie auf das andauernde Sehen entlang der Linie, das Wahrnehmen ihres Verlaufs an. Sichtbar ist dezidiert auch das zeitliche Werden des Bildes.

 

Genauso dokumentiert die Videoarbeit „Drawn by the other“ die Dimension von Zeit und Räumlichkeit im Bild. Es zeigt den Entstehungsprozess einer 18 Meter langen Linie („Alexanderlinie“) auf Shoji-Papier. In der Mitte des projizierten s/w Bildes ist die gänzlich unbewegte Hand des Künstlers zu sehen. Sie hält einen schwarzen Kohlestift über ein Papierband. Zwei Helfer bewegen es unter der Hand fort: rechts wird die Papierrolle noch unbezeichnet ab-, links mit einer schwarzen Linie bezeichnet, wieder aufgerollt. Die Zeichnung auf dem Papier entsteht ohne Absetzen und ohne individuelle künstlerische Geste. Wawrzyniak reguliert lediglich den Druck, mit dem der Kohlestift abgerieben wird. Die Geste des Setzens einer Linie, deren individueller Duktus und Ausprägung, die für die Gattung der Zeichnung werkimmanent sind, gerät in Konkurrenz zum prozessua-len und performativen, fast mechanisiert erscheinenden Entstehungsprozess. Zudem drängt sich die Frage auf, wo und wie sich eigentlich das Bild und die Bildinforma-tion manifestieren: Eingerollt und komprimiert auf dem Papier, später im Raum installiert oder hier auf der Ausstellungswand projiziert?

Jan Wawrzyniak selbst begreift das Bild als „offenes, aber zugleich distanziertes und instabiles Gegenüber“. Dem Betrachter ermöglichen seine Arbeiten das Überprüfen eigener Erwartungen und letztlich eigener Wahrnehmung von Bildern.

bottom of page